Rezension: „Wege aus dem Demenz-Dilemma“ von Robert Perneczky & Michael H. Schoenberg

Sollten Sie Sorge haben oder vielleicht sogar schon die Diagnose, dass Sie an einer Demenz erkrankt sind, oder sich um jemanden kümmern, bei dem das zutrifft, dann kann ich Ihnen dieses Buch von Prof. Dr. Robert Perneczky und Prof. Dr. med. Michael H. Schoenberg empfehlen. Darin geben die beiden Autoren zahlreiche Tipps, die Ihnen dabei helfen können, Ihre eigene Lebensqualität bzw. die Ihres/-r Angehörigen zu erhalten oder ggf. zu verbessern. Dafür haben sie wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Demenzforschung zusammengetragen und leicht verständlich aufbereitet, um für die verschiedenen Aspekte des alltäglichen Lebens, auf die sich die Erkrankung auswirken kann, Hilfestellungen anzubieten.

Warum interessiert mich das? Seit einem halben Jahr bin ich u. a. auf einer Demenz-Station tätig und spreche regelmäßig mit betroffenen Patienten/-innen und ihren Angehörigen. Dabei wurde mir aufgezeigt, wie unterschiedlich sich diese Erkrankung auf das Erleben und auf das Verhalten der Betroffenen auswirken kann und welche vielschichtigen Probleme daraus in ihrem persönlichen Umfeld entstehen können. Da ich wissen wollte, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse es in diesem Zusammenhang gibt und wie man Betroffenen – auch in scheinbar auswegslosen Situationen – helfen könne, habe ich mir diesen Ratgeber besorgt.

Demenz ist nicht heilbar, aber es kann gelingen, den fortschreitenden Verlauf zu verlangsamen und die Lebenszeit der Betroffenen bis in das späte Stadium hinein (möglichst) positiv zu gestalten. Obwohl ich mich als Psychologe bereits mit den Ursachen und Symptomen der verschiedenen Formen einer Demenz beschäftigt hatte, habe ich in diesem Werk viele nützliche Informationen finden können, die mir insbesondere bei der Beratung von Betroffenen und Angehörigen gewiss helfen werden, praktikable Lösungen für auftretende Probleme zu entwickeln sowie auf entsprechende Fragen antworten zu können.

Dabei geht es inhaltlich zunächst darum, was Lebensqualität überhaupt ausmacht und welche Rolle sie auch im hohen Alter noch spielt? Welchen Einfluss hat die Persönlichkeit auf das Risiko, an einer Demenz zu erkranken? Wie kann man dem gezielt vorbeugen? Was kann man aus medizinischer Sicht tun, um den Betroffenen zu helfen? Warum erkranken manche Menschen und andere nicht oder viel später? Gibt es eventuell Risikofaktoren, die schon in früheren Lebensphasen die Wahrscheinlichkeit beeinflussen, eines Tages mit einer solchen Diagnose konfrontiert zu werden? Inwieweit hat der eigene Lebensstil damit zu tun? Was versteht man unter einer aktiven und einer passiven kognitiven Reserve? Was hat das Konzept der Salutogenese damit zu tun?

Ist das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen, d. h. zeigen sich die ersten Symptome, folgt oft eine Phase der Verleugnung und/oder der Verzweiflung. Beide Reaktionen sind verständlich, aber sie sind wenig hilfreich. Warum es sinnvoller ist, den Tatsachen schon früh ins Auge zu schauen und vorzusorgen, wird am Beispiel vieler Alltagssituationen deutlich: Wie sollte die Wohnsituation gestaltet sein, um die Autonomie der Patienten/-innen möglichst lang aufrechterhalten zu können? Ab wann wird das eigene Auto zu einem Sicherheitsrisiko? Dürfen Menschen in einem frühen Stadium der Demenz überhaupt noch fahren oder sollte ihnen der Führerschein abgenommen werden? Welchen Einfluss haben soziale Kontakte auf die Erkrankung? Wie schaut es bspw. mit der Körperpflege, der Ernährung oder der etwaigen Suche nach einer geeigneten Unterbringung aus, wenn man bemerkt, dass man allein nicht mehr zurechtkommt? Welche Kosten, die anfallen können, werden von wem übernommen? Welche Vorkehrungen kann man treffen, um sich auf die späteren Stadien vorzubereiten, in denen die Kommunikation schwieriger wird oder kaum noch möglich ist?

Auch an die pflegenden Angehörigen denken die Autoren: Wie können sie herausfordernde Situationen bewältigen oder entsprechenden Verhaltensweisen begegnen? Wie verändert sich die eigene Rolle hinsichtlich des Umgangs mit den Betroffenen? Worauf sollten sie achten, um selbst trotz der erhöhten Belastung möglichst gesund zu bleiben? Während man im Rahmen einer Ausbildung in der Pflege schon entsprechend sensibilisiert und auf damit einhergehende Probleme vorbereitet wird, können einem im Falle eines betroffenen Familienmitglieds viele Schwierigkeiten jedoch oftmals ganz unvermittelt begegnen und folglich schnell überfordern.

Jedes Kapitel beginnt mit einem Fallbeispiel, das die darauffolgenden Erläuterungen einleitet. Diese haben mir sehr gut gefallen, da sie lebensnah sind und unterschiedlichste Problematiken aufzeigen, von denen mir bereits viele im Rahmen meiner praktischen Arbeit begegnet sind. Des Weiteren werden zahlreiche Fachbegriffe sowie deren Bedeutung diskutiert, die im Umgang mit den Betroffenen wichtig sind, wie bspw. „Empowerment“ oder „Shared Decision Making“. Deutlich wird auch, dass es etliche Situationen gibt, in denen es nicht unbedingt einfach ist, eine optimale Lösung zu finden, die allen Beteiligten gleichermaßen gerecht wird. Obwohl es also ein schwieriges Thema ist, ist es den Autoren m. E. hervorragend gelungen, Hoffnung zu vermitteln. Denn auch mit einer Demenz kann das Leben lebenswert sein, sogar bis zum letzten Atemzug! Wenn Sie erfahren möchten, was Sie dafür tun können, dann empfehle ich Ihnen, dieses Buch zu lesen.

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